Als ich das erste Mal nach Indien flog, hatte ich die Qual der Wahl: Yogalehrausbildung in Goa oder in Rishikesh. Das ehemals kleine Städtchen Rishikesh liegt am Rande des Garhwal-Gebirges im Himalaya, der Quelle des Ganges. Der Ort ist bekannt für Althippies, Yoga und den Beatles, die in den 1960er einige Monate dort verbracht haben. Da ich selbst aus den Bergen komme, entschied ich mich schlussendlich für eine Yogalehrerausbildung in Goa, doch der Wunsch einmal die Yogahauptstadt der Welt zu besuchen, blieb ungebrochen. So fuhren Nipun und ich zwei Jahre später an meinem Geburtstag (August – Regenzeit) in die verheißungsvolle Stadt am Ganges.
Yoga, Frieden und Glückseligkeit?
Wir fuhren mit dem Auto von Delhi nach Rishikesh. Laut Google Maps ist das eine sechs Stunden Fahrt – Google Maps kennt sich in Indien nicht aus – es waren schlussendlich neun Stunden. Benötigst du Beschreibung der Route und des Straßenzustandes, fragst du lieber einen Einheimischen um Hilfe. Erschöpft und überglücklich kamen wir in der vermeintlichen Yogahauptstadt der Welt an, und wurden gleich mit einem Schlag ins Gesicht von unserem alten Freund der Realität begrüßt. Wo waren die innewohnende Ruhe, die zurückhaltende Bescheidenheit und die angepriesene unberührte Natur? Ich habe mittlerweile schon viele Orte in Indien besucht (Himachal Pradesh, Goa, Punjab, Chandigarh und auch Touristenhochburgen wie Delhi, Jaipur und Agra) doch noch nie habe ich eine so verwahrloste und heruntergekommene Stadt wie Rishikesh gesehen. Meine Traumbilder von einer spirituellen Hochburg am heiligen Fluss bekamen unschöne Flecken.
Der Zauber ist verflogen
Einst verwirklichten Yogis hier durch jahrelange Praxis in den Meditationshöhlen ihr Selbst, doch nun scheint es, als wären die ca. 70.000 Einheimischen auf den Business-Zug aufgesprungen. Statt dem wunderbaren Panorama sieht man nur noch überdimensionale Plakate, die für Yogalehrer Ausbildungen, Wunderheilung und Gurus werben. Jeder möchte ein Stück vom Profit abhaben und so reihen sich bereits gefühlte tausend Yogaschulen und Ashrams aneinander. Leider sprechen die meisten Yogalehrer aus Rishikesh kein gutes Englisch, deshalb ist es schwierig, sie während des Unterrichts zu verstehen. Etwas außerhalb des Zentrums gibt es noch Schulen, die etwas Authentizität verbreiten. Für die Mehrheit der westlichen Yogaschüler ist das jedoch unpraktisch. Zu weit weg wären sie von der „German Bakery“ mit den Schokokuchen und den „Vegan Cafés“ mit den hippen grünen Smoothies. Die Gier nach Mehr, die Vermarktung von Heilversprechen und die leichtgläubigen Touristen haben dieser Stadt seinen Zauber gekostet.
Was bietet die Yogahauptstadt der Welt
Erleuchtung findet man hier kaum – aber was dann? Die bereits erwähnten Cafés bieten wirklich sehr leckeres vegetarisches und veganes Essen, das in seiner Milde eine Wohltat für einen europäischen Gaumen ist. Trotz der langen Zeit in Indien habe ich mich nie an die Schärfe der traditionellen Gerichte gewöhnt. 😉 Sehenswert sind auch die Wälder und Hügel rund um Rishikesh, sowie der Ganges selbst. Diesen erlebt man am intensivsten auf einer geführten Rafting Tour. Dank der Scharren an Geschäftsleuten aus Delhi, die scheinbar nur für dieses Erlebnis anreisen und als Dolmetscher fungieren können, ist das nichtvorhandene Englisch des Rafting Guides auch kein Problem mehr. Ein Hauch Spiritualität kann man am Abend am Flussufer erleben, wenn hunderte Pilger im Kerzenschein zu Hanuman beten.
Wahres Yoga erleben
Wer auf der Suche nach authentischem Yogaunterricht ist, sucht sich lieber eine Schule an einem ruhigeren und friedlicheren Ort. Indien ist ein wunderschönes Land mit vielen magischen Orten. Ich bin mir sicher, dass du in dieser bunten Collage eines erstaunlichen Subkontinents den richtigen Platz finden wirst. Jedenfalls entpuppt sich die vermeidliche Yogahauptstadt der Welt als gut inszenierte Bühne für Möchtegern-Yogis, weit weg von Urgedanken des Yoga. Rishikesh ist auf jeden Fall einen Kurzbesuch wert, jedoch würde ich hier auf keine spirituelle Erleuchtung hoffen. Diese findest du fernab des Massenkonsums und der Werbetreibenden – nämlich in dir selbst!